1984 spielten:

  • De Nieuwe Snaar

    Götz Alsmann Pianist
  • Stephan Blinn MarionettenVarieté
  • Don Jordan Pantomime
  • Ingmar Kaeser Figurentheater
  • Rudi Klaffenböck Kabarett
  • Norbert Meidhof Kabarett
  • Hanns Meilhamer & Claudia Schlenger Kabarett
  • De Nieuwe Snaar MusicComedy (Bild rechts)
  • Regenbogentheater Puppentheater
  • Linda Scott ClownPantomime
  • Jochen Steffen Kabarett
  • Temps Fort Theatre Maskentheater
  • Turbo Prop Theater Figurentheater
  • Helen Vita Songs (Bild rechts unten)
  • Gerhard Zwerenz Lesung

 


 

Michael Laages, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 7.4.1984

Prüfstand AlltäglichkeitHelen Vita 1984

Zum Abschluß des Langenhagener „Mimuse"-Festivals

Das Langenhagener „Mimuse"Festival hat bewiesen, wie lebendig derzeit das Kabarett wieder satirisch in die Saiten greift. Da ist kaum noch etwas zu spüren von Ermüdung und Resignation der siebziger Jahre, da ist wieder gutdosierter Pfeffer in der Nase zu spüren.

Zwei Kabarettabende waren exemplarisch für diese frische Orientierung der satirischen Kleinkunst. Da stieg zum einen der Altgenosse und Expolitiker Jochen Steffen in die Friesenbütt. Er darf als Vorsänger des neuen Zungenschlags im Kabarett gelten: Er hatte schon sehr früh den satirischen Zündfunken der Alltagssprache entdeckt. Wobei Steffens „Kuddl Schnööf' vom Kieler Hafendock und seine Weisheit mehrfach gebrochen sind  Kuddl spricht so, wie er denkt, daß feinere Leute als er sprechen würden. Aber allzusehr verstellen kann er sich dann doch nicht. Und das Ergebnis ist eben nicht nur das groteske Kauderwelsch aus Hoch und Plattdeutsch, Kieler Missingsch genannt, sondern praktisch auch Kuddels Art, missingsch zu denken  so halb, als mache er den Schmu der Welt drumherum mit, doch auch halb mit frechem Witz und polemischer Wucht seiner einfachen Weisheit. Wunderbar grotesk wirkt das  und sehr klug.

Volkssänger im besten Sinne sind Hanns Meilhamer und Claudia Schlenger. Wie schon bei der Verleihung der Deutschen Kleinkunstpreise im Mainzer „unterhaus", so waren sie auch bei der Langenhagener „Mimuse" die eigentliche Entdeckung. Ihr Prüfstand ist die Alltäglichkeit  mit der Witwe, die eigentlich gar keine Lust auf Franz Lehárs "Lustige" hat, mit dem Paar, das sich im Café in den eigenen Einkäufen und den Schauermeldungen einer Zeitung gleichermaßen verheddert. Bei aller Bloßstellung schwingt bei den beiden (wie beim Kollegen Gerhard Polt) viel Sympathie mit  die „Opfer" ihrer satirischen Typologie sind nie die Bösen, nur manchmal die Dummen, dem Wahn um sie herum können sie halt nur nicht entkommen.

Ein kräftiger Schuß bajuwarischer Hinterfotzigkeit kommt dazu  und nicht nur für Berufs-Münchener und Beute-Preußen wird das eine pralle Gaudi. Wie auch bei Norbert Meidhof, wie bei Rudi Klaffenböck  Langenhagens „Mimuse" hat die derzeit Besten aus der jungen Kabarettgarde und einen sehr soliden Alten ins Hannoversche geholt. Daß noch die traumhaften Zaubereien der Puppenspieler Stephan Blinn und Ingmar Kaeser dazukamen, auch Gerhard Zwerenz' umstrittene Literaterei, macht dieses kleine Festival ohne großen Etat doppelt wichtig. Und für eine Stadt, die mit Kabarett und Puppenspiel, mit Literatur und roten Clownsnasen eines der amüsantesten und lebendigsten Festivals Norddeutschlands alljährlich bei sich zu Hause hat.

Götz Alsmann und Udo Püschel 1984

Udo Püschel und Götz Alsmann, der während der Veranstaltungspausen in die Tasten haute.

Udo PüschelUdo Püschel, der dieses Vorwort zum 15jährigen Jubiläum geschrieben hat, ist der Erfinder der MIMUSE.

Udo Püschel: 15 Jahre MIMUSE und die Folgen

In Langenhagen startete 1981 die erste MIMUSE, das Kleinkunstfestival. Wir hatten wenig Geld und viel Optimismus. Es sollte etwas ganz besonderes werden, das war klar. Wenn man in Langenhagen, in dieser speziellen geographischen Situation bestehen will, muß man einfach etwas besonderes machen.

Langenhagen, das ist eine 49.500 SeelenGemeinde mit internationalen Verkehrsanschlüssen und vielen Grünflächen, an der dann unmittelbar südlich die niedersächsische Landeshauptstadt dranhängt. Wenn man in Langenhagen etwas veranstaltet, dann muß es größer, besser, schöner sein, als Vergleichbares in Hannover, denn sonst wird man gar nicht wahrgenommen. Und so entschieden wir uns für Kabarett und Comedy, weil es das auch noch gar nicht gab in unserer Region, abgesehen vom Einzelkämpfer Dietrich Kittner.

Da wir also in einer Kleinkunstdiaspora lebten, mußten wir das Publikum erstmal missionieren. Schaut her, das gibt es und das ist toll, intelligent und witzig! Witzig?? Das ist schon falsch, ein Fehler, denn dann kann es nichts sein.

Für jeden richtigen Deutschen ist es doch ganz klar: Kunst ist es immer dann, wenn es nichts zu lachen gibt. Das hat bei uns bereits Tradition. Frankreich hat seinen klassischen Komödianten, den Molière, England seinen Shakespeare, der konnte gleich beides schreiben: Dramen und Komödien. Und Deutschland? Irgendein klassischer Komödienschreiber? Nichts!

Eine besondere Hanswurstiade unterstreicht die deutsche Humorlosigkeit. Im Jahre 1737 verbrannte die Neuberin, Prinzipalin einer bekanten Schauspielertruppe, auf dem Roßmarkt in Leipzig eine Hanswurstfigur. Mit dieser symbolischen Hinrichtung sollte die lustige Figur ein für allemal von der deutschen Bühne verschwinden. Zuvor hatte der Professor Gottsched, Herausgeber der moralischen Wochenzeitschrift „Die vernünftigen Tadlerinnen" und „Der Biedermann", die Ächtung der komischen Theaterfigur ausgerufen. Fortan sollte sie dem Ernst und der Sittlichkeit des deutschen Dramas nicht weiter gefährlich werden.

Allerdings ist der Komödiant in jedem Land traditioneller Bestandteil des Theaters. Bereits in der griechischen und römischen Antike war als Intermezzo in den Dramen der Mimos oder auch Mimus sehr beliebt. Das war eine Figur, die das ernste Spiel mit amüsanten Kommentaren versah und nebenbei Seitenhiebe auf Großkopfete austeilte. Mimus wurde denn auch, in Zusammenhang mit der Muse, der Namenspatron des Langenhagener Kleinkunstfestivals, der MIMUSE.

Nun mag mancher behaupten: Große Städte machen große Kunst, kleine Städte machen Kleinkunst. Wer dabei nur ins Portemonaie schaut, der übersieht einiges. Natürlich geht es immer ums Geld, aber ein wichtiger Aspekt ist immer noch, zu zeigen, daß Humor durchaus intelligent und phantasievoll sein kann. Der Humor blüht auf einem weiten Feld. Da wird mit dem Florett gefochten und mit dem Holzhammer zugeschlagen. Da kann man schmunzeln oder sich auf die Schenkel klopfen.

Feiner Humor ist dabei etwas, das mir schon immer imponiert hat; z.B. Künstler, die ihr Handwerk perfekt beherrschen, das Produkt dann aber mit einem gewissen Augenzwinkern präsentieren. Bei den Malern fällt mir als Beispiel Franz Hals ein, ein Zeitgenosse Rembrandts. Seine Gemälde sind wunderbar, die dargestellten Personen sind lebensecht und doch sind sie durch kleine Überzeichnungen köstlich karikiert.

Bei den Schriftstellern können wir in diesem Jahrhundert auch auf deutsche Experten verweisen: Tucholksy und Kästner werden immer gern genannt, wenn es um die Ehrenrettung des teutonischen Humors geht. Das sind große Vorbilder und Vorbilder kosten nichts. Mit großen Künstlern ist das anders.

So kamen wir dazu ein Konzept zu entwickeln, welches vorsah nur Künstler zu präsentieren, die erst in zwei Jahren „groß rauskommen". Dadurch wurde die MIMUSE zu einem Festival der Newcomer. Das sind nicht unbedingt Anfänger, oft sind die Künstler in ihrer Heimat bereits sehr erfolgreich, aber in unserer Region noch unbekannt und daher nicht zu sehen gewesen. Viele dieser „Unbekannten" waren in den vergangenen Jahren in Langenhagen zu Gast. Wer in unserer Region kannte 1981 schon Mathias Richling? Oder 1983 Gerhard Polt und die Biermösl Blosn, Richard Rogler oder Konrad Beikircher und Gerd Dudenhöffer? 1985 Erwin Grosche? 1986 Matthias Deutschmann? 1987 Nickelodeon? Letztere kannte natürlich keiner, denn schließlich war es deren Deutschlandpremiere. Noch viele Namen gehören eigentlich in diese Liste: Martin Buchholz, Hans Werner Olm, Thomas Freitag, Gardi Hutter, Georg Ringsgwandl, Sissy Perlinger, die Missfits usw. usw.

Erst im Rückblick zeigt sich, daß wir mit unserer Auswahl und der Prognose des kommenden Erfolgs richtig lagen. Darauf ist man als Veranstalter natürlich stolz und sieht man dann „seine MIMUSEKünstler" im Fernsehen, kann man lässig sagen: Hatten wir doch schon alles. Besonders erfreulich ist es aber, wenn die alten Kontakte bestehen bleiben und die Künstler auch später dem Langenhagener Theatersaal treu bleiben. So gibt es eben im Großraum Hannover nicht nur ein Festival, bei dem man neue Kabarettisten und Komödianten entdecken kann, es gibt auch in der laufenden Saison ein Programm, bei dem man liebe alte Bekannte wiedersieht.

Es ist zweifellos leichter, ein Festival nur mit den populären Stars zu machen. Die Medien sind auch bereit darüber zu berichten, denn dann wissen auch sie worum es geht, und die Fans kommen fast automatisch. Glücklicherweise gelang es uns über all die Jahre eine gleichbleibende Qualität zu halten. Das brachte uns bei den Besuchern ein großes Renommee, so daß bei der Programmgestaltung noch mehr Risikoveranstaltungen eingeplant werden konnten.

Figurentheater z.B. ist eine äußerst schwierige Sache. „Kinderkram" sei es, so ein weitverbreitetes Vorurteil. Trotzdem gelang es uns den Australier Neville Tranter auf unserem Festival zu einem Star zu machen. Mittlerweile füllt er fast den Theatersaal und Standing Ovations gehören bei seinen Shows zu Selbstverständlichkeiten.

Auch Stephan Blinn muß man in diesem Zusammenhang erwähnen, denn der kleine Schlittschuhläufer aus Blinns liebenswertem MarionettenVarieté wurde zu einem Publikumsliebling. Zwischen Stephan Blinns und Neville Tranters Art des Puppenspiels bestehen zwar einige Unterschiede, trotzdem kann man sich für beide begeistern.

Es ist immer noch schwierig Puppenspieler in einem ComedyFestival zu etablieren, obwohl es da doch eine große Tradition gibt. Denn im traditionellen, internationalen Figurentheater kann man sehr gut erkennen, wie volkstümlich die präsentierte komische Figur in allen Ländern ist. Überall ist oder war sie die Hauptperson, beliebt bei Kindern und Erwachsenen. In Deutschland ist es der Kasper, in England Mr. Punch, in Italien Pulcinella und in Rußland Petruschka.

Auch wenn man Europa verläßt ändert sich da nichts. Beim Schattenfigurentheater in der Türkei ist das Spiel nach der komischen und schlagfertigen Hauptperson benannt: Karagöz. Ein türkischer Kasper, der in Bursa lebte und beim Bau der Moschee des Sultan Orhan so sehr die anderen Bauarbeiter erheiterte, daß der Sultan um die Arbeitsmoral fürchtete.

Auch Indonesien hat ein Schattenfigurentheater, das Wayang Kulit (SchattenLeder) mit wunderschönen, kunstvollen Figuren. Gespielt werden immer noch Variationen der ältesten Geschichte der Menschheit, das RamayanaEpos. Dabei kämpfen die strahlenden Helden Wishnu, Krishna und Arjuna mit den guten Geistern gegen die bösen Dämonen. Lieblinge des Publikums sind aber vier skurrile Gestalten: Petruk, Semar, Gareng und Bagong, dickbäuchig, triefnäsig und deftig komisch. Ähnlich wie Mimus im antiken Theater kommentieren sie respeklos das phantastische Spektakel und das Publikum, welches bis dahin fast ehrfürchtig das Spiel verfolgt hat, lebt auf und kugelt sich vor Lachen. Humor scheint in allen Ländern der Sonnenschein für die Seele zu sein, ein Grundbedürfnis.

Ähnlich vielfältig wie das internationale Figurentheater ist inzwischen auch das Kabarett. Und das, obwohl es eher national als international ist. Es scheint eine Domäne der deutschsprachigen Länder zu sein. In England gibt es dafür die StandUpComedy, Leute, die sich auf die Bühne stellen und Witze, Gags, erzählen. Diese unpolitische Variante findet inzwischen auch in Deutschland viele Freunde. So kommt es, daß die KabarettSzene noch nie so schillernd war. Politik und Menschliches, Weltbewegendes und Banales, Nachdenkliches und Nonsens, das alles findet man inzwischen in der Schublade Kabarett und alles hat seinen festen Platz und seine Fans.

Da man in Langenhagen immer das ganze Spektrum zu sehen bekommt, kann es vorkommen, daß manch ein Besucher von einer für ihn neuen Variante überrascht wird. Die Kabarettschublade wächst beständig und auch Künstler wie Erwin Grosche, Ottfried Fischer, Hans Werner Olm oder Dirk Bielefeldt, dieser Herr Holm für alle, finden ihr Publikum.

Die Komödianten, Puppenspieler und vor allem die Kabarettisten beherrschen unser Kleinkunstfestival. Aber es ist kein Festival der kleinen Künste. Diese fast abfällig klingende Bezeichnung erweckt immer den Eindruck, daß das hier gezeigte nicht viel wert wäre. Dabei wollte der Name eigentlich aussagen, daß es hier etwas für Spezialisten gibt, vielleicht für Minderheiten, Kunst im kleinen Rahmen. In der Schweiz heißt es darum auch nicht „Kleinkunst" sondern „Kleintheater", womit deutlich gesagt ist, was hier klein ist.

Unser Kleintheater in Langenhagen heißt „daunstärs". Eine Kleinkunstkneipe mit viel Intimität, die sehr gut geeignet ist, neue Kabarettisten zu präsentieren. Aber die Maßstäbe verschieben sich. Das Interesse an diesen Darbietungen wird größer, die Inszenierungen werden aufwendiger. Die technischen Anforderungen für viele Comedy Aufführungen sprengen den kleinen Rahmen.

Das Kleinkunstfestival MIMUSE wird somit immer mehr zu einem Comedy-Festival. Aber eins ist gleich geblieben. Jedes Jahr gibt es neue Namen, unbekannte Künstler können entdeckt werden. Die MIMUSE ist und bleibt ein Podium für eine Szene, die in den Medien nur selten in Erscheinung tritt. Und wenn man heute überhaupt von „Kleinkunst" spricht, dann kann mit klein höchstens das Medieninteresse gemeint sein.

Unserem immer zahlreicher werdenden Publikum aus Langenhagen, Hannover und dem Umland möchten wir Dank sagen. Mit Ihrem Interesse haben Sie die MIMUSE groß gemacht, zum größten ComedyFestival Norddeutschlands. Bundesweit zählt es mit dem „United Slapstick" in Frankfurt, dem „Köln Comedy" und der „Leipziger Lachmesse" zu den renommiertesten Veranstaltungen dieser Art und wir, die Macher und Planer, werden uns bemühen, daß es so bleibt.

In Namen des Kulturamtes der Stadt Langenhagen und der Klangbüchse, eines gemeinnützigen Vereins, der stets die Helfer bei allen Veranstaltungen stellt, wünsche ich unserem Publikum viel Spaß bei der nächsten MIMUSE.

Veranstalter der MIMUSE ist der Verein Klangbüchse e. V. in Zusammenarbeit mit der der Stadt Langenhagen. Im Theatersaal und im daunstärs findet jährlich - seit 1980 - mit der MIMUSE das größte Kleinkunst-Festival Norddeutschlands statt. Die Mimuse ist damit das älteste Kleinkunstfestival in Deutschland. Für viele Künstler zählt der Auftritt hier zu den wichtigsten Terminen im Tourneeplan. Größen wie z.B. Bodo Wartke, Bastian Pastewka, Matthias Brodowy, die feisten, Juliano Rossi, Volker Pispers, Götz Alsmann oder früher Dieter Hildebrand, Hanns Dieter Hüsch und Gerd Fröbe haben hier schon das Publikum vor stets ausverkauftem Haus begeistert.

Hier findest du alle Informationen zu uns und zur Mimuse, dem größten Kleinkunstfestival in Norddeutschland.
Wir bedanken besonders uns bei unseren Förderern und Partnern, die uns langjährig begleiten.

 

2020 Klangbuechse Vorstand b450

Volker PispersVorwort zur MIMUSE '95 von Volker Pispers:

Das politische Kabarett

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie ermutigen, öfters ins politische Kabarett zu gehen. Sie wissen, im politischen Kabarett sind Sie stets von lauter engagierten Gesellschaftskritikern umgeben. Einige sind auch leiser engagiert. Manche auch geradezu engagiert leise. Aber im Engagement sind alle, denn wer heutzutage nirgendwo im Engagement ist, der kann sich die Gesellschaftskritik in Form einer Kabaretteintrittskarte kaum noch leisten. Zumindest nicht in den Tempeln der Kleinkunst. Da, wo das literarische Kabarett zelebriert wird. Wo man die knallharte Gesellschaftskritik in weichen Polstersesseln auffängt, und das im Halse steckengebliebene Lachen in der Pause mit Champagner runterspült. An solchen Orten läßt man sich die Kritik am eigenen Lebenswandel genauso folgenlos um die Ohren schlagen wie in der Kirche.

„Gehe hin verkaufe alles was du hast und gib es den Armen."

Ist doch eine herrliche Pointe! „Wer dir auf die linke Wange haut, dem halte auch die Rechte hin!" Selten so gelacht. Kabarett ist eine Art moderner Ablaßhandel. Das schlechte linke Gewissen aus dem Feuer springt, wenn das Geld in der Kleinkunstkasse klingt. Deshalb meine Damen und Herren: Heben Sie Ihre Kabaretteintrittskarten immer gut auf. Heben Sie sie auf. Wenn dann irgendwann einmal  nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus jemand zu Ihnen kommt und fragt: Na, was haben Sie denn in diesem System für eine Funktion gehabt? Na, na? Dann sagen Sie: Halt! Moment! Holen den großen Karton mit den Kabaretteintrittkarten raus und sagen: Hier, ich war dagegen. Hier ist der Beweis. Ich war im Widerstand. Ich habe laut und öffentlich gelacht, wenn meine Regierung verspottet wurde. Ich habe geklatscht, anhaltend geklatscht, wenn das System kritisiert und seine Unmenschlichkeit in lustigen Sketchen entlarvt wurde.

Ich habe auf offener Straße Kanzlerwitze erzählt! Was wollen sie von mir?

Ich war keine Blockflöte. Ich war eine Querflöte. Ich habe meinen Müll sortiert. Franz Alt gelesen und die Taz. Ok, abonniert  nicht gelesen. Ich habe mich freiwillig an Tempo 100 gehalten, zumindest in geschlossenen Ortschaften. Ich habe für vom Aussterben bedrohte Arten gespendet. Für Robben, Kurden, Grüne, Intellektuelle. Ich habe mir den Hintern mit Umweltschutzclopapier wundgescheuert, den Magen mit Nicaraguakaffee versaut.

Ich war doch dagegen! Ich habe auf Korsika „Ich bin ein Ausländer"TShirts getragen. Habe Boykottaufrufe für Mohrenküsse organisiert. Also, wenn einer dagegen war, dann ich. Ich war für Schwerter zu Pflugscharen, für Politiker zu Menschen.

Ich bin kein Täter, ich bin Opfer. Also, wenn schon, dann bin ich Opfer und Täter. Rotkäppchen und der Wolf. Links und SPD. Katholisch und Demokrat, Attentatsopfer und Rollstuhltäter. Ich bin doch auch nur ein Mensch!

Und genau da liegt das Problem. Wie steht es über den Menschen geschrieben? Wer zu spät geht, den bestraft die Natur.

Aber noch ist alles in Ordnung. Unser System ist stabil. Den meisten geht es so gut wie nie zuvor und für die ewigen Nörgler und Querulanten da bietet unser Gesellschaftssystem das Kabarett als geistigen Abenteuerspielplatz an. Bad Skt. Kleinkunst. Das Therapiezentrum für alle Unzufriedenen.

Alles nach dem Motto: Haben wir heute mal wieder gelacht. Mal wieder richtig schön gelacht, über die Blödheit der von uns gewählten Politiker. Hahaha. Und über die Kinderprostitution in Thailand. Herrlicher Sketch war das.

Deswegen geht man doch ins Kabarett. Um über sowas auch mal zu lachen. Stehen Sie dazu. Lachen ist gesund. Lachen ist die beste Medizin. Medizin die gut schmeckt hilft nicht. Das habe ich als Kind gelernt. Medizin muß bitter schmecken. Damit das Lachen schön bitter ist, muß das Kabarett geschmacklos sein. Damit es auch hilft. Als Breitbandantiidiotikum. Gut gegen alles. Also, es ist dann gut, wenn es gegen alles ist. Gegen alles und nichts. Eigentlich ist es gegen alles und für nichts. Es ist nichts für alle, aber es ist eh alles für nichts. Für nichts und wieder nichts.

Warum kommen die Leute heute noch ins Kabarett?

Der eine möchte seinen neuen Bosspullover ausführen. In der Kirche sieht einen ja niemand mehr. Der andere möchte seinen frischerworbenen Bronchialkatarrh mit dem herrlichen sibirischen Blutwürfelhusten mal vor Publikum vorführen. Wieder andere sagen sich wahrscheinlich: Samstag abend, nun ja Kultur muß hin und wieder sein, das ist wie Nägelschneiden. Wieder andere hat der Arzt hergeschickt, den neuen Schrittmacher testen. Und es gibt Leute, die gehen nur ins Kabarett, um das neue Bonbonpapier auszuprobieren.

Müssen Sie mal drauf achten. Auch im Kino oder Theater. Immer wenn es brenzlig wird und atemlose Spannung liegt über dem Saal, oder versucht über dem Saal zu liegen, dann erstickt das Publikum die Angstschreie mit Bonbons. „Wenn Hamlet grollt, nimm Rachengold!" Diesen Menschen verdanken wir den Begriff knisternde Spannung!

Aber die meisten kommen doch ins Kabarett, weil im Kabarett so herrlich gelästert wird. Wenn Henning Venske in einem der letzten Lach und Schießprogramme verkündet, daß Peter Gauweiler im Fernsehen immer wirkt wie ein Vertreter für Kinderpornos, dann haben sie im vollbesetzten Kongreßsaal in Düsseldorf herzhaftes Gelächter unter den Krawatten und Abendkleidern.

Und wenn sie im Kabarett erzählen, daß der Intelligenzquotient des Bundeskanzlers weit unter seiner Körpertemperatur liegt. Dann johlt das Volk, dann tobt der Saal und wählt den Kanzler noch einmal. Das ist ja das Geniale an der kapitalistischen Gesellschaft, daß man mit einer dümmlichen Parodie des Kanzlers mehr verdienen kann, als der Kanzler selbst. Auf die Frage: Kann man denn davon leben? müßten die meisten Kollegen heute antworten: Und wie!
Das Kabarett hat sich mit dem System abgefunden. Und das System hat sich mit dem Kabarett abgefunden. Genaugenommen hat das System das Kabarett abgefunden. Unsere Gesellschaft sperrt niemand ein, der anfängt zu meckern. Sie stopft ihm das Maul. Mit einem Scheck.

Wes Kaviar ich freß, des Kabarett ich mach.

Es gibt nur noch drei gute Gründe in der kapitalistischen Gesellschaft Kabarett zu machen: Geld, Geld und Geld.

TERMIN VERLEGT

24.10.24  M. Tschirpke  
05.02.26
07.03.24  B. Stijelja 16.01.25
20.04.23  Lucy v. Kuhl 
20.02.25

Karten sind weiter gültig.

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